Der alte Hall - ... oh ja die Phantasie

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  Es war bei einer Fortbildungsveranstaltung des VERBANDES DEUTSCHER SCHULMUSIKERZIEHER bei der Landesmusikakademie in Schlitz.
Meine Tochter - ebenfalls Musiklehrerin - und ich nahmen an dem Kurs "Singen mit Hand und Fuß"(Gerhart Roth) teil.
Wir waren frühzeitig an Ort und Stelle und konnten uns gründlich in der Lokalität, dem Schloss Hallenburg, umsehen. Mich hat das Anwesen mit seiner rustikalen Würde sehr beeindruckt: das weitläuige Treppenhaus mit den leicht ausgetretenen Stufen, die hohen Räume, die großzügigen Flure, die kühlen Kellerräume, die dicken Fundamentmauern . Besonders der Blick aus dem Fenster im ersten Stock war es wohl, der meine Phantasie in Gang setzte.
Gegenüber kann man nämlich ehemalige Wirtschaftsgebäude in einem offenen Karree sehen,  halb verfallene Teile, deren Renovierung bevorsteht, kräftig kontrastierend zu dem bunt herausgeputzen Mittelgebäude mit einem Dachreiter, der dem Schloss zugewandt das glänzende Ziffernblatt einer - offensichtlich funktionierenden - Turmuhr zeigt.
Und schon füllte sich das Ganze mit Leben. Und im Verlauf der Fortbildung, auf der Heimfahrt und lange danach, eigentlich bis heute, stellte sich das eine oder andere Bild ein, die eine oder andere Begebenheit, der eine oder andere Zusammenhang.
Aus der Perspektive eines Einheimischen, der "gut" über alles Bescheid weiß, der alle Geschichten um das Schloss und seine Bewohner - teils aus Überlieferung - kennt, kam ich ins Erzählen über den "alten Hall".
Es geht los. Und Vorsicht: Phantasie!!


4.
Der alte Hall hat spät geheiratet. Das beste Mannesalter hatte er erreicht. Sein Gut und die Pferdezucht hatte er zu neuer Blüte geführt, weil er stetig arbeitete und nie nachlässig wurde. Die Ereignisse gliederten sich den Jahreszeiten gemäß und alles ging seinen gewohnten Gang, bis er an einem schon sommerlichen Tag im Mai bei einer Pferdeauktion die junge Tochter Miriam des Pferdehändlers Goldenberg kennen lernte. Er ertappte sich dabei, wie immer wieder sein Blick weg von den Pferden, hin zu der jungen Dame abschweifte. Man konnte auch nicht an ihr vorbei schauen, wenn ihr buntes Blumenkleid ihre zarte Gestalt im leichten Wind umwehte. Und ganz unbemerkt schien sein Interesse nicht geblieben zu sein. Es ist dieser Blick des Angeschauten, der vom Betrachter weg gerichtet dennoch verrät, dass man die Hinwendung bemerkt hat. So ging es eine Weile. Die Gedanken waren wieder bei Pferdezucht und Geschäft. Der alte Hall führte Verhandlungen mit den Händlern. Auch kam Goldenberg auf ihn zu, begrüßte ihn überschwänglich, umarmte ihn. Der alte Hall konnte gerade noch einen herzhaften Männerkuss verhindern, indem er sich etwas Staub vom Hosenbein schlug und sich so von seinem temperamentvollen Gegenüber abwenden konnte. "Wie geht´s?" "Was macht das Geschäft?" Die üblichen Fragen. Doch dann trat sozusagen aus der zweiten Reihe genau diese junge Frau herzu, mit der vor kurzer Zeit diese eigenartigen Blickwechsel stattgefunden hatten. "Meine Tochter Miriam", sagte Goldenberg. Was Goldenberg dann noch von seinem aktuellen Geschäftserfolg erzählte, hörte der alte Hall nur mit halbem Ohr. Jetzt trafen sich die Blicke von ihm und Miriam offen. Und sogleich war ohne Worte tiefere Gemeinsamkeit zwischen ihnen, als eine doch so flüchtige kurze Bekanntschaft hätte erwarten lassen. Dem Vater blieb das natürlich nicht verborgen, wie sich da eine Beziehung anzubahnen schien. Und so war es auch kein Zufall, dass Goldenberg das Schloss Hallenburg öfters besuchte, auch wenn es keine Pferde zu kaufen gab - in Begleitung seiner Tochter selbstverständlich. Obwohl die Besuche unregelmäßig und unangemeldet waren, löste der blank geputzte offene Landauer Goldenbergs, wenn er vom ehemals Hallschen Wallach Ernesto gezogen in die Hofeinfahrt einbog, stets freudige Erwartung in ihm aus. Er beeilte sich dann, dem eleganten Fräulein aus der Kutsche zu helfen, was diese sichtlich genoss. Der Händler sprang auf der anderen Seite herab und nach kurzer Begrüßung hatte er immer etwas anderes zu tun: einmal musste er dringend einem menschlichen Bedürfnis nachkommen, einmal quälte ihn ein Steinchen im Stiefel und musste entfernt werden, einmal musste er mit dem Knecht nach dem Kutschenrad sehen. Und so kamen sich die beiden, Miriam Goldenberg, und der alte Hall näher. Einmal war sie auf dem schmalen Fußtritt der Kutsche ausgeglitten, sodass der alte Hall Miriam auffangen musste. Er hielt die federleichte junge Frau in seinen starken Armen wie der Bräutigam die Braut, wenn er sie über die Schwelle der Wohnstatt trägt. Beide lachten, denn sie hatten wohl beide den gleichen Gedanken.
Die Hochzeit wurde in Schloss Hallenburg gefeiert, vielleicht etwas zu prächtig. Goldenberg hatte darauf bestanden, einen Gastonomen aus der Stadt mit seinem Meisterkoch und seinen Helfern mit der Ausrichtung der Feier zu beauftragen. Die Bediensteten des alten Hall konnten nur zusehen, nachdem sie den Fremden in die Örtlichkeiten eingewiesen hatten. Sind wir nicht gut genug? fragten sie sich. Auch die Einheimischen im Dorf sahen die Hochzeit des alten Hall nicht mit Begeisterung, obwohl sie alle eingeladen waren und in einem eigens auf einer Wiese vor dem Schloss errichteten Zelt mitfeiern durften. Die Tochter eines Pferdehändlers sahen sie nicht als standesgemäß an. Da konnten sie die wechsenden weiblichen Besuche aus der Stadt eher tolerieren. "Eine Sprachlehrerin", hatte der alte Hall einmal gesagt. Aber sowohl im Dorf als auch bei den Bediensteten im Schloss überzeugte Miriam mit ihrer freundlichen, unbekümmerten Art, sie ließ sich Dinge erklären, die sie noch nicht kannte, war hilfsbereit, bescheiden und immer verbindlich. Und so war sie bald überall beliebt und als Gutsherrin anerkannt.

(wird in unregelmäßigen Zeitabständen fortgesetzt)


 

 

 

"Phantasie ist wichtiger als alles Wissen, denn Wissen ist begrenzt" - Albert Einstein

 
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